Kunstpädagogin Kristina Jordan bringt Farbe ins Leben

Manchmal bin ich eine sprechende Uhr, erzählt Kristina Jordan mit einem Augenzwinkern. Sie erklärt, dass manche Bewohnerinnen und Bewohner ihr Gespür für die Tag- und Nachtzeit und damit ihr Zeitgefühl verloren haben. „Wir Sehenden sind ‚die Augen‘ für die Menschen in unserem Haus und machen durch unsere Arbeit ihr Lebensumfeld sichtbar und fühlbar. Wir bringen mit unserem Tun Schönheit in ihren Alltag.“

Kristina Jordan gehört zum Betreuungsteam im Kniesehaus und ist Kunstpädagogin. Sie hat sich Zeit genommen, um im Gespräch über ihre außergewöhnliche Arbeit mit den Seniorinnen und Senioren zu berichten. Denn die meisten von ihnen sind seheingeschränkt oder blind. Und trotzdem oder gerade deswegen macht sie den Alltag mit ihren kreativen Ideen etwas bunter. Obwohl das Visuelle wegfällt und der Sehsinn fehlt, macht Kristina Jordan die Dinge, die entstehen fühl- und erlebbar.

„Kunst ist nicht nur über die Augen zu erfassen“, weiß Kristina Jordan. „Trotz fehlender Sehkraft ist ein sinnliches Erleben möglich. Ob Tasten und Fühlen, Spüren, Riechen, Hören und Schmecken ­– wir haben verschiedene Sinnesorgane, um unsere Umwelt wahrzunehmen. Der Fokus weg von den Augen, hin zu anderen Sinnen war auch für mich eine neue Erfahrung, als ich im Kniesehaus mit meiner Arbeit begann. Ich habe viel neues gelernt, probiert und andere Zugänge zu den Menschen gefunden“, beschreibt Kristina Jordan ihre Arbeit mit der Kunsttherapie.“

„Ganz am Anfang hatte ich ein unvergessenes Erlebnis mit einem unserer Bewohner. Wir waren zusammen spazieren und er beschrieb mir, wie viel er trotz fehlendem Augenlicht wahrnimmt: Den Wind hören und im Haar spüren, die Lavendelblüten ertasten und den Duft einatmen, sich erinnern und sogar die Hummeln leise summen hören. Dieser Moment, selbst die Augen zu schließen und zu spüren, war sehr bewegend und hat mich in die Welt der Menschen ohne Sehvermögen reingeholt.“

Seither ist Kristina Jordan noch achtsamer und sensibler, schließt öfter mal die Augen, um mit all ihren Sinnen wahrzunehmen. Aber auch, um sich noch besser in die Menschen mit Seheinschränkung reinzuversetzen.

In ihren Therapiestunden entstehen verblüffend schöne Kunstwerke: ganz individuell, ganz persönlich. „Das Schaffen ist ein Prozess und klar, es ist auch abhängig von der Tagesform. Aber es geht nicht darum, eine konkrete Absicht zu verfolgen oder ein perfektes Ergebnis zu erreichen. Im Gegenteil! Hier zählt, die Dinge zuzulassen und zu schauen, was passiert.“

Große Farbtuben, kleine Schälchen und Wassergläser, Schwämmchen, Spachtel und Papier. Den Finger in die Farbe tauchen, sie fühlen und riechen. Hören, wie sie auf das Papier tropft. Farbkleckse mit einem Schwämmchen tupfen oder den kleinen Spachtel durchziehen – am Ende zählen die eigene Vorstellungskraft, das Erlebnis selbst und nicht das Ergebnis. „Es gibt kein Richtig oder Falsch. Alle sind eingeladen sich auszuprobieren und sich mit Farbe auszudrücken – auch wenn sie nicht sehen können.“

Kristina Jordan gibt Impulse, führt mal die Hand behutsam über das Papier, beschreibt, was auf dem Bild entsteht, lässt unbedingt Freiraum und geht auf jede und jeden einzeln ein. Die Kunstpädagogin staunt immer wieder, was doch alles möglich ist, wenn dann die Bilder mit Wäscheklammern zum Trocknen auf einer Schnur hängen. Und die Bewohnerinnen und Bewohner erleben das Gefühl, etwas ganz von selbst hervorgebracht zu haben, weil Kristina Jordan Farbe in ihr Leben bringt.